Feuilletöne – Sendung 189 – Erik Satie – Parade, Vexations und Nocturnes

Erik Satie hätte in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag gefeiert. Und immer noch glauben viele Menschen, er hätte nur Musik für das Piano und alle Aufzüge dieser Welt geschrieben. Wir haben uns ‚Parade‘, ‚Vexationsund die ‚Nocturnes‘ angehört, und erzählen euch ein wenig über ihn und seine Musik.

Erik Satie

Erik Satie hieß eigentlich Alfred Éric Leslie Satie, wurde 1866 in Honfleur (Calvados) geboren und starb 1925 in Paris. Er war ein Komponist des frühen 20. Jahrhunderts. Er beeinflusste mit seinen Werken die sogenannte Neue Musik. Erste Bekanntheit verdankt er seinen Musikerkollegen Claude Debussy und Maurice Ravel, die seine Stücke spielten. Eine der hervorstechenden Eigenschaften seiner Werke ist das Außerkraftsetzen des Dur-Moll-Systems. Dazu kommen Einfachheit, Klarheit, Kürze und Schlichtheit. Somit gilt er als Vorreiter der Minimal Music. Saties Vorstellungen von Musik waren jedoch viel weitergehend. Er war der Meinung, dass der Komponist nicht das Recht habe, „die Zeit seiner Zuhörer unnötig in Anspruch zu nehmen“, also entwickelte er die Idee der Hintergrundmusik. Er nannte sie Musique d’ameublement, was etwa so viel heißt wie Möbel- oder Einrichtungsmusik. Musik sollte also seiner Meinung nach funktionieren wie ein Tisch, ein Stuhl oder ein Vorhang. Sprich: Musik sollte nicht stören, nicht im Wege stehen. Damit lehnte er jegliche Virtuosität oder jegliche Raffinesse ab. Satie sagte einmal: „Jeder wird Ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt.“ Wie ernst das alles zu nehmen ist, was Satie so sagte, wie viel Humor er hatte, und dass er auch ernste Werke schrieb, das wollen wir euch in dieser Sendung erzählen.

Parade

Parade – Ballet réaliste ist ein Ballett in einem Akt von Erik Satie, nach einem Thema von Jean Cocteau. Satie komponierte die Musik in den Jahren 1916 und 1917 für das Ballettensemble Ballets Russes. Die Kostüme, den Vorhang und das Bühnenbild entwarf Pablo Picasso. Das Ballett wurde am 1917 am Théâtre du Châtelet in Paris uraufgeführt und es kam prompt zu einen Skandal. Parade gilt als Schlüssel- und Ausgangswerk des multimedialen (Tanz-)Theaters. Dass drei dermaßen bekannte und anerkannte Persönlichkeiten der damaligen Zeit zusammenarbeiteten und ein Stück entwarfen, war neu. Und so entstand 1917 dank weltbekannter Künstlern und ihrer Inspirationen und Ideen ein kollektives Bühnenspektakel.

Handlung: In diesem Ballett geht es um eine Schaustellertruppe, die auf der Straße vor dem Jahrmarkt auf ihre Kunst aufmerksam machen will, um das Publikum anzulocken. Ein französischer und ein amerikanischer Manager sorgen für die Reklame. Ein chinesischer Zauberer und Akrobaten zeigen, was sie können: Der Zauberer jongliert mit einem Hühnerei, die Akrobaten führen ihr Können auf dem Hochseil und am Trapez vor. Ein Mädchen kommt vorbei und fotografiert. Ein Pferd, das von zwei Tänzern dargestellt wird, tanzt. Ein Publikum hingegen gewinnt die Truppe nicht.

Vexations

Wohl für das Klavier komponiert, obwohl die Partitur kein Instrument spezifiziert. Es handelt sich um eines der ersten Stücke für ein repetitives Arrangement sowie für Atonalität. Das Stück ist undatiert, wurde aber wohl zwischen 1893-1894 komponiert. Es wird allgemein als eines der längsten Stücke der Musikgeschichte angesehen, obwohl die Partitur nur aus einer Seite besteht. Warum? Nun, das Stück trägt folgende Inschrift Saties: „Um das Thema 840 mal hintereinander spielen zu können, wäre es ratsam, sich vorher in der tiefsten Stille und Unbeweglichkeit vorzubereiten.“ Das ist mal wieder eine sehr typische Anweisung Saties, und niemand weiß so recht, was davon ernst zu nehmen ist und was nicht. Aber drollig ist sie allemal.

Nocturnes

Die Nocturnes sind fünf Klavierstücke – geplant waren sieben, das Werk blieb aber unvollendet. Sie wurden 1919 geschrieben. Es waren Saties letzte Werke für Soloklavier und sie zählen zu den bedeutendsten Errungenschaften des Genres. Die Stücke sind durchdrungen von völliger Ernsthaftigkeit, ganz ohne die sonst so humoristischen Titel oder Anweisungen, die typischerweise in seinen Partituren zu finden sind. Satie wurde von der französischen Presse belächelt und von chronischer Armut geplagt. Er litt an Depressionen. 1918 schrieb er an Valentine Hugo: „Ich scheiße auf die Kunst, sie hat mich zu oft ausgegrenzt.“ 1919 dann schrieb er diese Stücke. „Ich habe mich in den letzten Monaten sehr verändert“, sagte er später. „Ich wurde sehr ernst … zu ernst, sogar.“ Die Nocturnes riefen keine Begeisterung des damaligen Publikums hervor. Bis heute gehören sie zu den Werken Saties, die man eher nicht kennt. Angesichts Saties Ruf als musikalischer Humorist ist das Publikum ob dieses ernsten Werkes möglicherweise verunsichert gewesen. Satie-Liebhaber und Musikexperten hingegen schätzten sie. John Cage machte sie nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA populär und heute sind sie hoch angesehen. Sie hätten es verdient, bekannter zu sein. Der Stil ist ein anderer, die Musik ist kompromisslos in der Ablehnung jeglichen sinnlichen Reizes. Sie wirkt fast trostlos und distanzierend. Die Nocturnes werden nicht in den Aufzügen oder Kaufhäusern dieser Welt gespielt.

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